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| von Emily Arndt

Verfolgt - Teil 1

Ein Fortsetzungsroman

Lest hier den gesamten ersten Teil des Fortsetzungsromans "Verfolgt", der bisher auf Instagram erschienen ist. Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht Levin. Er ist neu in seiner Klasse, findet keinen Anschluss und wird von seinen Mitschüler schikaniert, bis die Situation schließlich eskaliert...

Prolog

Ich laufe den schmalen Waldweg entlang, den Blick starr auf den mit Laub bedeckten Boden gerichtet. Es ist bereits dunkel, nur der Mond scheint leicht zwischen den Bäumen hindurch und wirft die schwarzen Schatten der Tannen, die wie unheimliche knochige Ungeheuer aussehen, auf den Weg. Wie sehr ich den Winter hasse. Im Sommer ist es lange hell, aber um diese Jahreszeit geht die Sonne schon am späten Nachmittag unter. Es so dunkel, dass ich kaum meine Hand vor Augen sehen kann. Der schmale Pfad, der zu unserem Haus am Waldrand führt, scheint unendlich lang und ich versuche, die unheimlichen Geräusche auszublenden. Der Wind rauscht durch die Baumkronen und hinter mir knackt ein Ast.

Ich drehe mich um, kann aber niemanden erkennen. Ich beschleunige meinen Schritt und kann nun langsam das Licht unseres Hauses in der Ferne erkennen. Mein Vater scheint also zu Hause zu sein. Ob er wohl schon auf mich wartet? Wohl eher nicht. Plötzlich knackt es erneut hinter mir und ich fahre herum. Dann sehe ich sie. Drei schwarze Schatten bewegen sich auf mich zu. Ich möchte wegrennen und schreien, aber ich kann nicht. Ich bin wie gelähmt. Als sie näher kommen, beginnt mein Herz zu rasen. „Wen haben wir denn da?“, erklingt die Stimme des einen, aber ich kann nichts sagen. Sie müssen mir gefolgt sein.

Ich schaue mich um, aber weit und breit ist niemand zu sehen, der meine Hilfeschreie hätte hören können. Meine Hände krampfen sich um die Träger meines Rucksackes. Die drei kommen immer näher, bis sie schließlich direkt vor mir stehen. Der eine greift nach meinem Rucksack und reißt ihn mir weg, dann schubst er mich. Ich taumele nach hinten, stolpere und falle rücklings die Böschung hinunter. Es geht so schnell, dass ich nicht mal schreien kann, dann spüre ich einen unbeschreiblichen Schmerz an meinem Kopf und mir wird schwarz vor Augen. Ich höre die drei wegrennen und mein letzter Gedanke ist, dass mich hier nie jemand finden wird. Dann fühle ich nichts mehr.

 

1.Kapitel

Es klingelte zum Beginn der Pause und die Türen der Klassenräume wurden aufgerissen. Mit lautem Gegröle und Geschrei bewegten sich die Schülermassen in Richtung Pausenhof, kurze Zeit später lagen die Gänge wieder schweigsam da, nur ein Junge trottete mit gesenktem Kopf zum Ausgang. „Hey, Levin, möchtest du nicht auch in die Pause?“, ertönte plötzlich die Stimme seiner Klassenlehrerin Frau Berger hinter ihm, aber der Junge schüttelte nur schweigend den Kopf und ging weiter. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Die Lehrerin hatte ihn eingeholt und lief nun langsam neben ihm her, im Arm einen Stapel Hefte. Levin antwortete nicht, nickte nur zögernd. Frau Berger blieb stehen und legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß, dass es immer schwer am Anfang ist, wenn man neu in eine Klasse kommt, aber du wirst bald Freunde finden. Du musst eben ein bisschen Geduld haben.“ Levin nickte und rang sich ein Lächeln ab. Er stieg die Treppen hinunter und schaute seiner neuen Klassenlehrerin nach, die im Lehrerzimmer verschwand. Sie war die einzige gewesen, die ihm ein freudiges Lächeln geschenkt hatte, als er vorhin das erste Mal die neue Klasse betreten hatte, und ihm das Gefühl gegeben hatte, willkommen zu sein. Er hatte in die Gesichter der anderen Mitschüler geschaut, aber die hatten ihn nur mit skeptischem Blick gemustert. Gelächelt hatte niemand. In diesem Moment war ihm bewusst geworden, dass sich an der neuen Schule nichts ändern würde. In seiner alten Klasse in Frankfurt hatten sie ihn gemobbt, all diese blöden, verwöhnten und gut aussehenden Kinder, die alles bekamen, was sie wollten und sich mit niemandem anfreundeten, der anders war. Aber er war nun mal nicht wie die anderen. Er war etwas dicklich, trug eine Zahnspange und eine Brille. Alle hatten sich über ihn lustig gemacht, hatten ihm Spitznamen wie „Fettkloß“ oder „Freak“ gegeben und er hatte alles über sich ergehen lassen. Er hatte niemanden gehabt, den er hätte um Hilfe bitten können. Seine Mutter war vor vier Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, da war er gerade elf Jahre alt gewesen. Seitdem lebte Levin mit seinem Vater allein, der sich jedoch seit diesem Schicksalstag in seine Arbeit geflüchtet und kaum mehr Zeit für ihn hatte. Seine Lehrerin war eine alte, sture Frau gewesen, die auch nichts mit seinen Problemen hatte zu tun haben wollen. Irgendwann war dann doch alles herausgekommen und sie waren umgezogen. Nach Fulda, eine Stadt, von der er vorher nie etwas gehört hatte. Sie war nicht sonderlich groß, aber dafür schön und nicht so verdreckt wie eine Großstadt. Er hatte gehofft, hier ein neues Leben beginnen zu können. Mit Freunden und vielleicht mit einem Vater, der für ihn da sein würde. Nun waren die ersten Stunden in der Freiherr-vom-Stein Schule überstanden. Noch hatte ihn zwar niemand beleidigt oder fertiggemacht, aber geredet hatte auch noch niemand mit ihm. Wie oft hatte seine Mutter früher immer zu ihm gesagt, dass nur die inneren Werte zählen würden, das Aussehen sei völlig egal, aber so dachten die meisten Jugendlichen nicht. Sie beurteilten alleine nach dem, was sie sahen und genau das machte Levin traurig. Die restliche Pause verbrachte er in einer Ecke, allein am Rande des Schulhofes und aß sein Pausenbrot. Als es klingelte, stand er mühsam auf und betrat die Eingangshalle. Suchend schaute er sich um, aber alles sah gleich aus. Wie sollte er sich jemals in dieser riesigen Schule zurechtfinden? Wo war er nochmal hergekommen? Er irrte einige Zeit umher, bis er endlich vor dem Raum A220 stand und zaghaft an die Tür klopfte, bevor er eintrat.

Frau Berger schenkte ihm ein freundliches Lächeln. „Entschuldigung, ich...“, begann er, aber die Lehrerin winkte nur lächelnd ab. „Kein Problem, setz dich einfach hin. Ich habe am Anfang auch ewig gebraucht, bis ich mich in diesem riesigen Gebäude zurechtgefunden habe.“ Levin nickte und setzte sich auf seinen Platz in der hintersten Reihe. Die drei Jungen vor ihm lachten leise. „Felix, Marlon und Dilan! Ruhe jetzt und Aufmerksamkeit nach vorne.“ Die drei Jungs nickten und die restliche Stunde blieben sie still. Levin betrachtete die drei von hinten und ihm wurde flau im Magen. Sie erinnerten ihn an die Jungs aus seiner alten Schule, an die, die ihn Tag für Tag drangsaliert hatten.

Bald darauf klingelte es zum Stundenende und seine Klassenkameraden packten ihre Sachen zusammen. Levin tat es ihnen nach und folgte kurz darauf den anderen hinaus auf den Gang. „Levin?“, hörte er die Stimme von Frau Berger hinter sich und er blieb stehen. „Wenn irgendetwas sein sollte, wenn du Probleme hast oder wenn andere dich ärgern wollen, dann kannst du immer zu mir kommen, okay?“ Levin nickte und nun lächelte er wirklich. Die Lehrerin schenkte ihm noch ein aufmunterndes Lächeln, bevor sie in die entgegengesetzte Richtung verschwand. Er drehte sich um und schaute direkt in die Gesichter der drei Jungen aus der Reihe vor ihm.

Ihre Namen waren ihm entfallen, nur Felix hatte er sich merken können. Der Junge mit dem perfekten Aussehen und einem überaus starken Selbstbewusstsein. „Jetzt schleimt er sich auch noch bei unserer lieben Frau Berger ein“, säuselte er und seine zwei Kumpels lachten. „Hör zu, Fettklops, die ist viel zu alt für dich.“ Levin starrte die drei überrumpelt an. „Ich wollte doch gar nicht...“ „Jaja“, unterbrach Felix ihn. „Außerdem würde dich sowieso keiner wollen, ich meine, schau dich doch mal an.“ Er deutete an seinem stämmigen Körper herunter und Levin musste mit aller Kraft die aufsteigenden Tränen unterdrücken. Da waren sie wieder, die fiesen Beleidigungen, die für Außenstehende harmlos wirkten, ihn aber wie ein Fausthieb in den Magen trafen. „Pass auf, jetzt fängt er gleich an zu heulen“, stellte der eine fest, bevor er seinen Kumpels auf die Schulter klopfte und sich dann umdrehte. „Los, sonst kommen wir seinetwegen noch zu spät zu Musik.“ Levin blieb allein im Gang stehen und versuchte, seinen rasenden Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen. Am liebsten wäre er einfach weggerannt. Nach Hause, in sein gemütliches Bett und am liebsten hätte er nie wieder aufstehen müssen. Musik war immer sein Lieblingsfach gewesen, jetzt hatte er nicht die geringste Lust darauf. Langsam ging er den anderen hinterher. Im Musikraum setzte er sich in die letzte Reihe, möglichst weit von Felix und seinen Kumpels entfernt. Er versuchte, der Musiklehrerin zuzuhören, aber seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Warum musste es immer ihn treffen? Warum konnte nicht er so hübsch und gutaussehend sein wie Felix? Er dachte an Frau Berger und an das, was sie gesagt hatte. Er konnte immer zu ihr kommen, wenn er Probleme hatte. Sollte er ihr von dem Vorfall vorhin erzählen? Aber ob sie ihn ernstnehmen würde? Es war schließlich „nur“´  eine kleine Beleidigung gewesen, aber für ihn hatte dies eine andere Bedeutung, denn genau so hatte es an seiner alten Schule auch begonnen und mit der Zeit war es unerträglich geworden. Nein, er wollte es dieses Mal nicht so weit kommen lassen. Gleich nach der Stunde würde er zu Frau Berger gehen und ihr alles erzählen. Sie konnte ihm helfen. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie Felix aufstand und in Richtung Mülleimer lief. Dabei kam er an Levins Tisch vorbei und ließ einen kleinen zusammengefalteten Zettel darauf fallen. Er nahm den Zettel mit zitternden Fingern in die Hand, faltete ihn auseinander und las:

Kein Wort zu Frau Berger, sonst wirst du es bereuen.

Langsam hob er den Blick und schaute Felix ins Gesicht. Der grinste gehässig. Da war sie wieder, die Angst, die ihm all die letzten Jahre zur Hölle gemacht hatte. Nichts würde sich hier verändern. Es würde alles nur noch schlimmer werden.

2.Kapitel

Levin schloss die Haustür auf und warf seinen Schulranzen in die Ecke. „Papa?“, rief er ohne mit einer Antwort zu rechnen. Natürlich war sein Vater nicht zu Hause, seine Arbeit war ja wichtiger als alles andere. Lustlos lief er in die Küche und nahm sich einen Schokoriegel aus dem Schrank. Dann ging er in sein Zimmer, ließ sich auf das kleine Bett fallen und starrte an die Decke. So blieb er einige Zeit liegen und zählte die blauen Punkte seiner ranzigen Tapete. Irgendwann schlief er ein und als er aufwachte, war es bereits dunkel draußen. Er warf einen Blick auf seinen Wecker. 22 Uhr. Langsam stand er auf und schlich vorsichtig die Treppe zur Küche hinunter.

Sein Bauch knurrte, er öffnete den Kühlschrank und schloss ihn seufzend wieder, denn außer einem abgelaufenen Joghurt und zwei verschrumpelten Tomaten war er leer. Nach kurzem Suchen fand er ein trockenes Brötchen vom Vortag in einer Tüte und biss hinein. Einen Moment schaute er aus dem Fenster, aber draußen war nichts zu erkennen, außer pechschwarzer Dunkelheit. Ihr Haus am Waldrand war völlig abgeschieden von anderen Häusern und rundherum waren nichts als Bäume und Wiese. Straßenlaternen gab es auch nicht. In Frankfurt war die Nacht immer erhellt von Lichtern und voller lauter Geräusche gewesen, aber hier war nichts.

Warum sie ausgerechnet nach Fulda gezogen waren, hatte Levin nicht so ganz verstanden. Sein Vater hatte gesagt, es gebe in Fulda einen weiteren Sitz seiner Firma, wo er arbeiten konnte und nun waren sie hier. Nachdem er gegessen hatte, schlich er zurück in sein Zimmer und legte sich in sein Bett, aber schlafen konnte er nicht mehr. Die restliche Nacht wälzte er sich von einer Seite auf die andere, bis die Sonne aufging und sein Wecker ihn erlöste. Mühsam stand er auf, zog sich an und packte seine Schulsachen zusammen. Bei dem Gedanken, Felix und seine Kumpels wieder zu sehen, krampfte sich sein Bauch schmerzhaft zusammen.

Was würde er alles dafür geben, zu Hause bleiben zu können, aber er hatte keine Wahl. Der Trick mit dem Krankstellen hatte sein Vater bereits in Frankfurt durchschaut, ihm blieb also nichts anderes übrig, als sich zusammenzureißen und seine Ängste zu ignorieren. In der Küche packte er sich einen Schokoriegel und einen verschrumpelten Apfel in den Schulranzen und verließ das Haus. In der Schule angekommen lief er die mit Schülern überfüllten Gänge entlang und betrat den Biologieraum. Er setzte sich auf einen Platz in der hintersten Reihe und schaute unauffällig zu Felix und seinen Kumpels, die in der zweiten Reihe Platz genommen hatten.

Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und lachten über etwas, das Felix in seinen Händen hielt, aber Levin konnte nicht erkennen, was es war. In diesem Moment betrat ein junger Lehrer den Raum und das Gemurmel verebbte. Nachdem er die Klasse begrüßt hatte, überprüfte er die Anwesenheit seiner Schüler und blieb bei Levin hängen. „Dich hab ich hier noch gar nicht gesehen. Bist du neu in der Klasse?“ Levin nickte. „Wie ist dein Name?“ „Fettkloß“, rief Felix, sodass es alle hören konnten. Der Lehrer warf ihm einen strafenden Blick zu. „Levin“, flüsterte dieser und der Lehrer notierte den Namen. „Sehr schön, du wirst dich bestimmt schnell eingewöhnen.“ Levin nickte und seufzte leise. In dieser Klasse würde er keine Freunde finden, da war er sich sicher.

Die restlichen Stunden vergingen schnell und als es zur Pause klingelte, trottete er wieder zur hintersten Ecke des Schulhofes. Dort würden Felix und seine Kumpels ihn wenigstens nicht finden. Er setzte sich auf den Boden und biss von seinem Schokoriegel ab. „Hi“, ertönte plötzlich eine hohe Stimme hinter ihm und er drehte sich erschrocken um. Vor ihm stand ein Mädchen, etwa im selben Alter wie er und mit einer großen Brille auf der Nase. Sie hatte Sommersprossen und rötliche Haare, die sie zu zwei dicken Zöpfen geflochten hatte. „Was machst du hier?“, fragte sie und Levin zuckte mit den Schultern. „Ich warte, bis die Pause vorbei ist.“ Das Mädchen lachte.

„Ich heiße übrigens Cora“, sagte sie und ließ sich neben ihm auf die Wiese fallen. „Und du?“ „Levin.“ Sie lächelte. „In welche Klasse gehst du?“, wollte sie wissen. „In die sechste.“ „Ich auch.“ Cora zog ebenfalls einen Schokoriegel aus ihrer Tasche und biss hinein. „Bist du neu hier?“ Levin nickte und sie grinste wieder. „Ich auch.“ Die restliche Pause saßen sie schweigend nebeneinander und als es gongte, standen sie auf. „Vielleicht sieht man sich ja mal wieder“, rief sie ihm noch zu, bevor sie in Richtung Pausenhalle davonrannte. Levin schaute ihr hinterher und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Vielleicht hatte er gerade eine neue Freundin gefunden.

 

 

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