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| von Emily Arndt

Verfolgt - Teil 3

Ein Fortsetzungsroman

Lest hier den dritten Teil von Levins Geschichte.

An der nächsten Kreuzung verabschiedeten sie sich voneinander und Levin stapfte den mit Laub bedeckten Waldweg zu seinem Haus entlang. Er schloss die Haustür auf und betrat den kalten Flur. Sein Vater war bei der Arbeit. Hatte er ihm nicht versprochen, heute für ihn da zu sein? Seufzend ging Levin in die Küche und nahm sich eine Tiefkühlpizza aus dem Gefrierschrank. Während diese im Backofen auftaute, schlenderte er durch die Wohnung und summte vor sich hin, um der erdrückenden Stille zu entgehen. Nachdem er kurze Zeit später seine Pizza verschlungen hatte, ging er in sein Zimmer und ließ sich auf sein Bett fallen. Er versuchte, die Bilder vom Vormitttag zu vergessen, aber es gelang ihm nicht. Das Klingeln des Telefons riss Levin aus seinen Gedanken, woraufhin er sich aus seinem Bett schwang und die Treppen hinuntereilte. Er nahm den Apparat in die Hand. „Hallo?“ „Levin?“, erklang eine Frauenstimme am anderen Ende. Für einen Moment dachte er nach, dann erkannte er die Stimme. Es war Frau Berger. „Hör zu, ich habe gehört, was heute in Kunst passiert ist. Das geht so nicht weiter.“ Für einen Moment herrschte Stille in der Leitung. „Ist ein Elternteil von dir zu Hause? Ich würde gerne mit ihnen reden.“ Levin schüttelte wortlos den Kopf, bevor er bemerkte, dass seine Klassenlehrerin das ja nicht sehen konnte. „Nein“, krächzte er. „Okay dann...richtest du ihnen bitte aus, dass ich sie morgen in meiner Sprechstunde sehen möchte?“ Levin antwortete nicht. Langsam ließ er den Hörer sinken und drückte den Anruf weg. Wenn sein Vater erfahren würde, dass sein Sohn einen Klassenkameraden geschlagen hatte, dann konnte er sich auf ein Donnerwetter gefasst machen. Und was würde seine Mutter von ihm denken? Sie wäre enttäuscht von ihm.

In diesem Moment klingelte es an der Tür. Wer konnte das um diese Uhrzeit sein? Mit einer schnellen Handbewegung wischte er sich die Tränen ab, stand auf und öffnete die Tür. Für einen kurzen Augenblick rechnete er mit Frau Berger, aber vor ihm stand zu seinem Erstaunen Cora. „Was machst du denn hier?“, fragte Levin. Cora schaute ihn mit ernstem Gesichtsausdruck an. „Ich habe mir Sorgen gemacht.“ Levin stutzte. „Worüber denn?“ „Hast du es noch nicht gesehen?“ Sie wedelte mit ihrem Smartphone vor seinem Gesicht herum und er schüttelte stumm den Kopf. In seinem Bauch machte sich Angst breit. Was hatte das alles zu bedeuten? Cora tippte auf dem Display ihres Handys herum, bevor sie es Levin vor die Nase hielt und ihm stockte der Atem. Auf dem Bildschirm lief ein Video von ihm. Er schaute sich selbst dabei zu, wie er sich in den blauen Kaugummi setzte und dann mit hochrotem Kopf aus dem Raum lief. Ihm stiegen Tränen in die Augen. „Woher hast du das?“, fragte er mit erstickter Stimme. „Schüler-TV. Die haben da für dich eine...eine extra Seite eingerichtet wo sie...wo sie Bilder und Videos von dir hochladen.“ „Wer sind ´die`?“, rief er mit zitternder Stimme, obwohl er sich die Antwort schon denken konnte. „Ich weiß es nicht, aber die Seite hat über 100 Follower und die Kommentare darunter sind...sind...die sind echt hart.“ Cora schaute ihn sorgenvoll an. „Ich...ich möchte dir helfen, aber ich weiß nicht wie.“ Levin schaute sie müde an. „Mir kann keiner mehr helfen.“ Mit diesen Worten schloss er die Tür, schleppte sich die Treppe zu seinem Zimmer hinauf und ließ sich auf sein Bett fallen. Er zog die Decke über den Kopf und bewegte sich nicht, auch nicht, als spät abends sein Vater nach Hause kam.

4.Kapitel

„Levin?“, hörte er seinen Vater von unten rufen, aber Levin antwortete nicht. Er vernahm die Schritte seines Vaters auf der Treppe und kurz darauf wurde seine Zimmertür vorsichtig geöffnet. „Hallo mein Großer.“ Sein Vater ließ sich auf seiner Bettkante nieder und strich seinem Sohn zärtlich über den Kopf. „Alles in Ordnung bei dir?“ Levin konnte nur wortlos nicken. „Komm, ich habe uns Burger mitgebracht. Du hast doch bestimmt Hunger“, meinte sein Vater. Nein, Levin hatte keinen Hunger, aber wann kam es schonmal vor, dass er mit seinem Vater gemeinsam essen konnte? „Ja, klar habe ich Hunger.“ Er rang sich ein Lächeln ab, schwang sich aus dem Bett und folgte seinem Vater nach unten in die Küche. Nachdem sie schweigend gegessen hatten, räumten sie gemeinsam die Küche auf und Levin spürte, wie müde er war. „Ich gehe schlafen“, meinte er und sein Vater gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf schön, mein Großer.“ Levin lächelte, bevor er sich bettfertig machte und sich unter seine warme Decke kuschelte.

In seinem Kopf kreisten die Bilder von Felix, wie er mit blutiger Nase auf dem Boden im Kunstraum lag, von Marlon und Dilan, wie sie ihm gedroht hatten und von Frau Berger, die sich um ihn sorgte. Wie gerne würde er ihr oder seinem Vater von all den schlimmen Beleidigungen und dem Mobbing erzählen, aber er durfte nicht. Marlon und Dilan hatten es ihm deutlich zu verstehen gegeben und er war sich sicher, dass die beiden und natürlich Felix nicht davor zurückschrecken würden, ihn zu bestrafen und ihn fertigzumachen, sollte er irgendjemandem von seinem Leiden erzählen. Vielleicht würden sie ja irgendwann den Spaß verlieren und von selbst aufhören, wenn er sie einfach ignorierte? Ein winziges Hoffnungsgefühl keimte in ihm auf. Irgendwann würde der ganze Mist hier aufhören und außerdem hatte er ja auch noch Cora, die ihm zur Seite stand und ihm helfen konnte. Sie wusste ja nun Bescheid und damit war sie bisher die Einzige. Morgen würde er mit ihr reden und ihr alles genau erzählen. Vielleicht wusste sie einen Rat. Mit diesen Gedanken schloss er die Augen und fiel in einen unruhigen, traumlosen Schlaf.

Am nächsten Morgen wachte er durch das Klingeln seines Weckers auf und machte sich für die Schule fertig. Er hatte sich für diesen Tag vorgenommen, sich nicht von den anderen Schülern einschüchtern oder provozieren zu lassen. Er würde sie einfach ignorieren, sich auf den Unterricht konzentrieren und auch Felix, Marlon und Dilan nicht beachten. Nachdem er sich in der Küche sein Pausenbrot geschmiert hatte, verließ er das Haus und machte sich auf den Weg zur Schule. Er stapfte den langen Waldweg entlang und lief durch die vielen Straßen der Fuldaer Innenstadt, bis er schließlich auf den Eingang des Schulgebäudes zusteuerte. Er war spät dran, also rannte er die Gänge entlang und riss pünktlich mit dem Gong die Tür seines Klassenraumes auf. Schnell huschte er auf seinen Platz in der letzten Reihe und setzte sich. Levin schaute weder nach links noch nach rechts und versuchte, seine Mitschüler auszublenden. Dann lenkte er seinen Blick auf den Tisch und erstarrte. Jemand hatte mit rotem Edding einen Menschen mit viel zu kleinem Kopf, einer hässlichen Fratze und einem dicken Körper darauf gekritzelt. Darunter stand in kaum leserlicher Jungenschrift: „Heute schon in den Spiegel geschaut? Ich bin dein Spiegelbild.“ Er hatte sich geschworen, sich nicht unterkriegen zu lassen, aber trotzdem hob er langsam den Kopf und sein Blick traf den von Felix. Der grinste nur gehässig, drehte sich dann wieder zur Tafel und tat so, als folge er aufmerksam dem Unterricht. Levin betrachtete erneut das Bild auf seinem Tisch und in seinem Hals bildete sich ein dicker Kloß. Keine Frage, seine Mitschüler hatten sich große Mühe gegeben, sein Ebenbild so hässlich wie nur möglich zu gestalten. Wahrscheinlich hatten sie ein Foto ihres Kunstwerkes bereits auf seiner Seite bei Schüler-TV gepostet, wo es die ganze Schule sehen konnte und sie sich in ihren Kommentaren über ihn und über das Bild auslassen und lustig machen würden. Sie hatten ihn zu ihrem Opfer auserkoren, ohne dass er eine Wahl gehabt hatte. Wie gewissenslos und gefühlskalt konnten Menschen nur sein, dass sie keine Reue dabei empfanden einen einzelnen Jungen, der keine Chance hatte, sich zu wehren, zu beleidigen und zu mobben? Konnten sie sich nicht in ihn hineinversetzen? Konnten sie sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlte, allein zu sein und von allen Seiten signalisiert zu bekommen, was für ein Versager man war?

Obwohl Levin sich für diesen Tag vorgenommen hatte, dem Unterricht aufmerksam zu folgen, schweiften seine Gedanken immer wieder ab. Als die Stunde beendet war, folgte er seinen Mitschülern schweigend zur Turnhalle. Nachdem sie sich umgezogen hatten, trafen sie sich in einem großen Kreis in der Mitte der Halle und der Lehrer wiederholte die grundlegenden Regeln für ein Handballspiel. Levin hörte nur mit einem Ohr zu und wurde plötzlich durch einen heftigen Stoß in die Seite aus seinen Gedanken gerissen „Wir zählen durch, du Opfer“, klärte Dilan ihn auf. Levin schaute fragend in die Runde, aber alle schauten ihn nur mit einem spöttischen und belustigten Grinsen an. „Du bist im Team 2“, machte sein Lehrer ihm klar und Levin nickte schweigend. „Och nee, mit dem haben wir doch jetzt schon verloren“, seufzten Marlon in einer Lautstärke, dass Levin es gerade so hören konnte. Nachdem sie sich in ihren Teams zusammengefunden hatten ertönte der laute Pfiff einer Trillerpfeife und das Spiel begann. Levin musste im Tor stehen. Seine Beine zitterten und ihm stand der Schweiß auf der Stirn, aber er hatte sich nicht getraut, seinen Teammitgliedern von seiner Angst vor Bällen zu erzählen. Er wendete den Blick nicht ein einziges Mal von dem Handball ab, der durch schnelle Pässe zwischen den Teammitgliedern hin und her geworfen wurde. Felix hatte den Ball in der Hand. Mit schnellen Schritten sprintete er auf Levin zu, setzte zum Sprung an und feuerte den Ball mit ungeahnter Geschwindigkeit auf das Tor. Levin hielt die Hände schützend nach oben, aber der Ball traf ihn mit voller Wucht mitten im Gesicht.

Einen Moment war es still in der Halle, dann vernahm er das Kichern seiner Mitschüler und kurz darauf wurde ihm schwarz vor Augen. Als er die Augen öffnete, sah er in das besorgte Gesicht seines Sportlehrers, der sich über ihn gebeugt hatte. „Alles in Ordnung bei dir?“ Levin konnte nur schwach nicken. Er war noch etwas benommen und sein Kopf schmerzte höllisch. „Passt auf, gleich fängt er an zu heulen“, drang die Stimme von Felix an sein Ohr woraufhin die Klasse in Gelächter ausbrach. „So ein Loser, guckt ihn euch doch mal an!“, hörte er Dilan murmeln. Der Lehrer schien es nicht gehört zu haben. „Am besten lässt du dich von deinen Eltern abholen und ihr fahrt zum Arzt, damit eine Gehirnerschütterung ausgeschlossen werden kann.“ Levin konnte nur nicken. „Jetzt muss er sich von Mami abholen lassen. Muttersöhnchen kann nicht allein nach Hause laufen“, säuselte Felix und in Levins Bauch braute sich eine unbeschreibliche Wut zusammen. Wie konnte dieser Idiot es wagen, von seiner Mutter zu sprechen. Sie war tot. Und er machte sich über sie lustig. Ohne ein weiteres Wort stand er auf und verließ die Turnhalle. Dabei spürte er die belustigten Blicke seiner Mitschüler im Rücken. Im Umkleideraum packte er seine Sachen zusammen und steuerte auf den Ausgang der Turnhalle zu. „Kommt deine Mutter und holt dich ab?“, hörte er die Stimme seines Sportlehrers hinter sich. Levin drehte sich um und nickte schwach. „Ja...ja, sie ist gleich da. Ich werde draußen warten.“ „Gute Besserung“, rief der Sportlehrer ihm noch hinterher, bevor er wieder in der Halle verschwand und Levin das Schulgelände verließ. Er hatte keine Lust, nach Hause zu gehen. Was sollte er dort? Anstatt in den Waldweg zu seinem Haus einzubiegen ging er die Straße weiter geradeaus, vorbei an den vielen Fachwerkhäusern und lief durch den kleinen Park.

Er hatte kein Ziel, aber die frische Luft und die Stille taten ihm gut. Irgendwann ließ er sich auf einer Bank nieder, schloss die Augen und lauschte dem leisen Rauschen der Blätter und dem entfernten Lärm einer Autobahn. Warum konnte es nicht immer so schön still in seinem Leben sein? Die Stimmen seiner Mitschüler, die fiesen Beleidigungen, hallten noch immer in seinem Kopf nach und so sehr er auch versuchte, all das zu vergessen, es gelang ihm nicht. Warum war er überhaupt noch hier? Wer würde ihn denn vermissen, wenn er nicht mehr da wäre? Sein Vater vielleicht, aber der würde sich einfach noch mehr in seine Arbeit stürzen, und vielleicht Cora. Aber sie kannten sich noch nicht lange genug. Wahrscheinlich würde sie nach kurzer Zeit vergessen haben, dass es ihn überhaupt jemals gegeben hatte und würde neue Freunde finden. Was tat er also noch hier? Er schüttelte den Kopf und fuhr sich seufzend mit den Händen über das Gesicht. Eine gefühlte Ewigkeit saß er so da, aber irgendwann stand er auf, lief die Straßen entlang, blieb immer mal wieder vor einem Schaufenster stehen und machte einen kurzen Halt bei McDonald´s um sich zu stärken. Er hatte völlig sein Zeitgefühl verloren und irgendwann wurde es dunkel. Langsam machte er sich auf den Heimweg und schlurfte die verlassenen Straßen entlang. Das einzige Licht spendeten die Straßenlaternen, der Mond war von Wolken verdeckt.

Dann bog er in den schmalen Waldweg entlang, den Blick starr auf den mit Laub bedeckten Boden gerichtet. Er versuchte, die unheimlichen Geräusche auszublenden und erschauderte beim Anblick der dunklen Tannen, deren schwarze Schatten wie knochige Ungeheuer aussahen. Der Weg erschien unendlich lang und Levin beschleunigte seinen Schritt, als er plötzlich hinter sich das Knacken eines Astes wahrnahm. Er drehte sich um, konnte in der Dunkelheit aber niemanden erkennen. In der Ferne konnte er das Licht seines Hauses erkennen, sein Vater schien also zu Hause zu sein. Plötzlich knackte es erneut hinter ihm und er fuhr herum. Dann sah er sie. Drei schwarze Schatten bewegen sich auf ihn zu und er brauchte nicht genau hinzusehen, um zu wissen, wer es war. Er wollte wegrennen und schreien, aber er stand stocksteif vor Angst. Sein Herz begann zu rasen. „Wen haben wir denn da?“, ertönte eine Stimme und er wusste, dass es Felix war. Er schaute sich um, aber weit und breit war niemand, der seine Hilfeschreie hätte hören können. Er war ihnen maßlos ausgeliefert. Seine Hände krampften sich um die Träger seines Rucksackes. Felix, Marlon und Dilan kamen immer näher, bis sie direkt vor ihm standen. Felix baute sich drohend vor ihm auf, griff nach seinem Rucksack und riss ihn von seinem Rücken. Dann schubste er Levin, sodass er nach hinten stolperte und die Böschung hinunterfiel. Er spürte einen unbeschreiblichen Schmer am Kopf, dann wurde ihm schwarz vor Augen. Das letzte, was er wahrnahm, waren die Schritte der drei Jungs, die sich immer schneller entfernten. Dann verließ ihn die Kraft.

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