"Es passiert immer etwas anderes, und meistens etwas Unvorhergesehenes"
Ein Interview mit Dr. Ulf Brüdigam
Ihr wolltet immer schon mal wissen, warum eure Lehrerinnen und Lehrer überhaupt diesen Beruf gewählt haben, was sie über Schule denken und was sie so in ihrer Freizeit machen? Wir haben einige von ihnen interviewt und die Antworten erhaltet ihr hier.
Wie lange sind Sie bereits an der Schule tätig?
An der Freiherr-vom-Stein-Schule seit gut viereinhalb Jahren.
Wann haben Sie beschlossen, Lehrkraft zu werden, und was hat Sie dazu bewegt?
Hmm, das ist eine längere Geschichte… Ich war 1988 während meiner Armeezeit in Russland, oder der damaligen Sowjetunion, und habe da ganz faszinierende Dinge gehört über Perestroika und Glasnost [Anm. der Red.: die Begriffe bedeuten „Öffentlichkeit“ und „Umbau“, darunter wurden ab 1985 Reformen in der Sowjetunion eingeleitet] und bin darüber eigentlich sehr erstaunt gewesen und fasziniert davon, von dieser Offenheit und diesen vielen neuen Dingen, die man dadurch erfahren hat, das kannte ich sonst vorher aus der DDR nicht, und habe an der Stelle beschlossen, dass es wichtig ist, dass man Kindern und Jugendlichen auch darüber in der Schule Informationen gibt, und habe mich dann entschieden, nach diesem Auslandsaufenthalt Lehrer zu werden.
Warum waren Sie während Ihrer Armeezeit in Russland?
Dieser Armeeeinsatz in der Sowjetunion ist dadurch zustande gekommen, dass ich ganz normal meinen Wehrdienst in der DDR geleistet habe und dann von einem Tag auf den anderen abkommandiert wurde und nach Russland musste. Es ging dabei um die Einführung eines neuen Raketenabwehrsystems und ich sollte gleichzeitig als Militärdolmetscher dort arbeiten.
Was ist das Beste an Ihrem Job und warum?
Das Beste an so einem Schulleitungsjob ist, dass man mit sehr vielen verschiedenen Menschen zu tun hat, mit Schülern, mit Eltern und mit Lehrkräften, dass man sehr, sehr viel Abwechslung hat: Es passiert immer etwas anderes, und meistens etwas Unvorhergesehenes. An der einen oder anderen Stelle kann es gelingen, auch mal ein Problem zu lösen.
In welchem Fach haben Sie ihren Doktortitel gemacht und worum ging es in Ihrer Doktorarbeit?
Ich habe promoviert in Erziehungswissenschaften. Beschäftigt habe ich mich mit medienbedingten Lern- und Bildungsprozessen, und meine empirische Untersuchung habe ich an den Star-Trek-Fans durchgeführt.
Wieso ausgerechnet Star Trek?
Ich habe mich damals für die Community der Star-Trek-Fans entschieden, weil das eine Gemeinschaft ist, die sich in der damaligen Zeit angeboten hat. Denn dort war genau zu beobachten, wie Lernen und wie Bildung durch Medien funktionieren. Und es waren auch genügend Leute in dieser Community, so dass es forschungsmethodisch möglich war, dort tatsächlich Nachweise für bestimmte Effekte zu erbringen.
Sie selbst sind aber kein Star-Trek-Fan?
Ich bin selbst keiner. Ich habe viel Verständnis dafür, habe auch viel Freude mit den Star-Trek-Fans gehabt. Aber ich bin selbst nicht zum Fan geworden.
Was war bisher Ihre furchtbarste Schulstunde und was Ihre lustigste?
Meine schrecklichste Stunde als Schüler war eine Staatsbürgerkundestunde [Anm. d. Red.: Schüler sollten in diesem Schulfach die DDR-Ideologie kennenlernen und sich mit ihr identifizieren]. Ich habe unmittelbar vorher erfahren, dass ich kein Abitur machen durfte. Da hat mir der Lehrer gesagt, dann soll ich eben ein guter Facharbeiter werden. Kein Abitur bedeutete ja, dass man nicht studieren durfte, und der sagte dann so: Ja, macht ja nichts, dann wirst du eben ein Arbeiter. Das fand ich sehr erschütternd.
Die lustigsten Schulstunden, das kann man ganz schlecht erzählen, hingen meistens mit unserem Physiklehrer zusammen, der ein ganz, ganz lustiger Typ war, Schlagzeuger in einer Jazzband, und oft in der Physikstunde auch mal ans Klavier gehen konnte und dann dort gespielt hat.
Warum durften Sie kein Abitur machen?
Das lag nicht an der Leistung, sondern daran, dass in der DDR pro Klasse nur 2 - 3 Schülerinnen und Schüler Abitur machen durften. Damit waren die Plätze begrenzt und meinen Abiturplatz hat dann eine Schülerin bekommen, deren Eltern bei der Stasi waren und die deshalb eindeutig die besseren Karten hatte.
In welchem Alter sind Schüler am schwierigsten?
Ich glaube, dass man das so nicht sagen kann. Es ist zu pauschal, dass es ein Alter gibt, in dem Schüler schwierig werden. Meiner Meinung nach gibt es in jedem Alter andere spannende Themen, die man mit Schülern behandeln kann und muss.
Macht das Unterrichten im Laufe der Jahre eher mehr oder eher weniger Spaß?
Mir hat es im Laufe der Zeit eigentlich immer mehr Freude bereitet, weil man mit der Zeit immer mehr Routine bekommt und einem immer auch mal neue Sachen einfallen: was man Neues machen kann, was zu verändern ist… Das finde ich sehr schön.
Was ist die größte Herausforderung an der Arbeit mit Kindern?
Jedes Kind möglichst individuell zu sehen, und seine individuellen Qualitäten wertzuschätzen.
Welches Schulfach haben Sie in Ihrer Schulzeit am meisten und welches am wenigsten gemocht?
Mein Lieblingsfach war Mathematik, zeitweise auch Physik. Am wenigsten anfangen konnte ich mit Staatsbürgerkunde.
Aber sie haben dann die Fächer Deutsch und Geschichte studiert?
Zunächst war es in der DDR schwer oder wenig möglich, sich frei für Studienplätze zu entscheiden. Ich habe Mathe und Physik immer gemocht, weil mir Naturwissenschaften sehr viel Spaß gemacht haben und weil es sehr klar, sehr richtig und auch nicht von der Partei zu beeinflussen war, was dabei herauskommt. Das war in den Gesellschaftswissenschaften anders. Dort gab es Schulbücher, die durch die Partei [Anm. d. Red.: SED, Staatspartei der DDR, die alle Lebensbereiche beherrschte] zensiert waren, und darin stand nicht die Wahrheit. Es durfte nur eine kleine Literaturauswahl gelesen werden, es gab also keinen freien Zugang zu Büchern, zu Literatur. Und deswegen habe ich mich dann für das Studium von Geschichte und Deutsch entschieden, weil das dann für mich die Möglichkeit war, das nach der Wende nachzuholen, was ich während der Schulzeit leider nicht machen konnte.
Was war die schlechteste Note, die Sie jemals geschrieben haben?
Eine Fünf, das war damals aber auch die schlechteste Note, die es gab. Das Fach war Mathematik. (lacht)
Was würden Sie anders machen, wenn Sie noch einmal Schüler wären?
Ich würde freundlicher zu meinen Lehrern sein.
Haben Sie als Schüler oft Streiche gespielt? Was war der lustigste?
Wir haben sehr viele Streiche gespielt. Am lustigsten finde ich immer noch einen relativ harmlosen Streich; eine Zeit lang haben wir morgens gern den Klassenraum von innen abgeschlossen, das Licht ausgemacht, und getan, als wären wir nicht da.
Wie erholen Sie sich am liebsten von uns?
Ach, von Schülern muss man sich ja nicht erholen. Aber wenn ich mich generell erholen will, dann unternehme ich entweder etwas mit meiner Familie oder fahre Fahrrad.
Welche Musik hören Sie gerne?
Ich bin ein unproblematischer Hörer. Ich höre am liebsten Radio.
Gibt es eine/n Prominente/n, den/die Sie interessant finden und gerne treffen würden?
Das wäre tatsächlich Ursula von der Leyen. Würde gut passen, weil wir Europaschule sind… das wäre toll, ja.
In welches Land würden Sie gerne reisen und warum?
Ich war schon mal dort, aber ich würde ganz gern noch einmal in die USA reisen. Dieses Land ist für mich einfach der Inbegriff von Weite und großartiger Freiheit, als Kind war es immer mein großer Traum, einmal nach Amerika zu kommen.
Was ist Ihre Meinung zur Schüler- und Studentenbewegung #Fridays4Future?
Finde ich total klasse, dass es die gibt. Ich würde mich freuen, wenn sie zu einem anderen Zeitpunkt demonstrieren würden, damit ich auch mal hingehen könnte!