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| von Emily Arndt

Die Querdenken-Bewegung

Wer sind die Querdenker und wofür demonstrieren sie?

Sicherlich hat jeder schon einmal etwas über die „Querdenker“ gehört. Sie sind sowohl in den Sozialen Medien als auch in den Nachrichten präsent. Vielleicht erinnern sich einige von euch sogar noch an die Querdenker-Demonstration Ende März 2021 in Kassel, von der in den Sozialen Medien viel berichtet wurde, auch weil es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und Polizei kam. Aber wer sind die sogenannten „Querdenker“ überhaupt?

Foto von Tim Reckmann

Verstopfte und gesperrte Straßen, lautes Gebrüll und splitterndes Glas, Polizeidurchsagen, in denen mit dem Einsatz von Wasserwerfern gedroht wird, das Dröhnen eines Hubschraubers in der Luft, überall Einsatzkräfte der Polizei. Das war die Situation in Kassel bei der Querdenker-Demonstration Ende März 2021, von der auch in den Sozialen Medien viel berichtet wurde. Auch ich war an diesem Tag in Kassel, um meine Oma zu besuchen. Das erste Problem bestand bereits darin, zu dem Haus meiner Oma zu gelangen, denn die Autobahnausfahrt war gesperrt und rund um die Innenstadt hatte sich ein kilometerlanger Stau gebildet. Alle Zufahrtsstraßen waren verstopft und wir mussten an einer Wiese, 30 Minuten von meiner Oma entfernt, parken. Auf dem Weg zu ihrem Haus fielen mir vor allem die verschiedenen Autokennzeichen auf. Sie reichten von Hamburg, über Frankfurt bis nach Köln. Als wir dann eine von der Polizei gesperrte Hauptstraße zu Fuß überquerten, hörten wir am oberen Ende der Straße lautes Gebrüll und das Zersplittern von Glas. Dann folgte eine Polizeidurchsage, die mit dem Einsatz eines Wasserwerfers drohte. Überall standen Polizeiwagen. Das Haus meiner Oma befand sich direkt hinter der Wiese, auf der die Kundgebung stattfinden sollte. Das bedeutete, dass die gesamten Teilnehmer an der Einfahrt meiner Oma vorbeilaufen mussten. Wir haben uns ins Wohnzimmer gesetzt und den Live-Ticker einer lokalen Zeitung im Internet verfolgt. Den ganzen Tag hörte man den Hubschrauber in der Luft.

Ich hatte bereits vorher einige Male von der Querdenken-Bewegung gehört, aber wer genau der Initiative angehört, wie sie entstand und für was die Bewegung steht, die an diesem Tag 20.000 Menschen nach Kassel führte, wusste ich nicht. Wer ist also überhaupt ein „Querdenker“? Gemäß der allgemeinen Definition des Wortes ist ein „Querdenker“ jemand, der eigenständig und originell denkt und dessen Ideen und Ansichten oft nicht verstanden oder akzeptiert werden. Seit Beginn der Pandemie findet man selbst ernannte Querdenker auf Demonstrationen, auf Kundgebungen oder man stößt im Internet oder Fernsehen auf sie. Im April 2020 wurde die Gruppierung „Querdenken-711-Stuttgart“ von dem IT-Unternehmer Michael Ballweg ins Leben gerufen. Bei dieser Bewegung handelt es sich nach eigenen Angaben um eine Initiative und nicht um eine Partei oder einen Verein. Sie selbst bezeichnen sich als „friedliche, überparteiliche Bewegung“ oder auch „Freiheitsbewegung“. Bei der Zahl 711 handelt es sich um die Telefonvorwahl Stuttgarts. Jedoch gibt es mittlerweile in ganz Deutschland unzählige lokale Ableger von „Querdenken-711“, die ebenfalls Telefonvorwahlen im Namen tragen, beispielsweise „Querdenken-089-München“. Zu den Mitgliedern von „Querdenken-711“ zählen neben Bürgern, die ausschließlich auf die Bedeutung des Versammlungsrechts hinweisen wollen, auch Impfgegner, Staatsskeptiker, Pandemieleugner sowie Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker. Auf den Corona-Demonstrationen trifft man allerdings ein noch viel weitreichenderes Spektrum von Menschen an. Es reicht von Linken über Liberale und Konservative bis zu rechtspopulistischen oder rechtsextremistischen Bürgern. Auch Familien mit Kindern trifft man dort an. Ich habe all diese Menschen, die an dem Haus meiner Oma vorbeigelaufen sind, beobachtet und war von der Vielfältigkeit der Mitglieder überrascht. Manche waren ganz in Schwarz gekleidet, trugen Sonnenbrillen und Fahnen über der Schulter, während andere in bunter Hippie-Bekleidung mit Regenbogenfahnen und Peace-Zeichen umherliefen. Wieder andere trugen völlig normale Alltagsbekleidung und auch Familien mit Kindern waren dabei. Aber wofür genau stehen die Querdenker?

Auf den Querdenken-Demonstrationen wird gegen die massive Einschränkung der Grundrechte während der Corona-Pandemie, beispielsweise gegen die Kontaktbeschränkungen oder die Maskenpflicht protestiert. In einer Presseerklärung heißt es: „Es geschieht hier Unrecht, was zu beenden ist und deshalb gibt es uns.“ Sie kämpfen für die „Wiederherstellung der Grundrechte nach dem deutschen Grundgesetz, der Menschenrechte und der Grundrechte der EU.“ Auf der Website der Querdenken-Gruppierung heißt es: „Wir sind eine friedliche Bewegung, in der Extremismus, Gewalt, Antisemitismus und menschenverachtendes Gedankengut keinen Platz haben.“ Die Initiative distanziert sich von rechts- und linksextremistischen Ideologien, unternimmt allerdings auch nichts gegen Rechtsextremisten, die mit Reichsflaggen an den Demonstrationen teilnehmen. Hinzu kommt, dass sich die Querdenker häufig auch mit den Opfern des Nationalsozialismus, wie beispielsweise Anne Frank oder Sophie Scholl, vergleichen und damit den Holocaust verharmlosen.

Mit der Corona-Pandemie hat gewalttätiges Vorgehen gegen Personen oder Einrichtungen zugenommen. Ein Beispiel dafür sind die Anschläge auf die Leibnitz-Gemeinschaft in Berlin und auf das Robert-Koch-Institut (RKI), die mutmaßlichen Corona-Leugnern zugeschrieben werden. Zudem traten im letzten Jahr Morddrohungen gegen Wissenschaftler, Politiker und Journalisten auf. Auf Querdenker-Demonstrationen, wie in Kassel, werden Journalisten und Polizisten beleidigt und angegriffen. Außerdem ist die Querdenker-Bewegung zunehmend ein Pflaster für die Verbreitung von Verschwörungstheorien und gezielter Desinformation. Unter anderem kursierte das Gerücht, mehrere junge Menschen seien an den Folgen des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes gestorben. Aufgrund der Verbreitung von Falschinformationen sperrte YouTube den Kanal von „Querdenken-711“, der zuletzt 75.000 Abonnenten besessen hatte. Seit Dezember 2020 wird die Initiative vom Verfassungsschutz in Baden-Württemberg überwacht, unter anderem wegen möglicher Verbindungen zu Rechtsextremisten, Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern.

Auf die Straße gehen die Querdenker weiterhin. Ein Beispiel dafür war die Querdenker-Demonstration in Kassel. Dort kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Demonstranten sowie den Gegendemonstranten. Mehr als 20.000 Menschen nahmen an dieser Demonstration teil, jedoch hielt sich fast niemand an die Auflagen, beispielsweise an das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Aufgehalten wurden sie trotzdem nicht. Eigentlich waren zwei kleine Versammlungen an festgelegten Orten von der Stadt Kassel genehmigt worden, aber die Teilnehmer zogen durch die Innenstadt, wo sie auf die Gegendemonstration trafen. Die Polizei sei überfordert gewesen, da sie nicht mit so vielen Demonstranten gerechnet hatte. Von der Demonstration selbst habe ich bei meiner Oma zu Hause nur wenig mitbekommen, aber es war ein Tag, den man im Gedächtnis behält und der mich noch lange beschäftigt hat.

Insgesamt wird oft vergessen, dass ein Großteil der Menschen, die an den „Querdenker-Demonstrationen“ teilnehmen, friedlich ist. Wir leben in einem Land, in dem die Grundrechte und vor allem die Meinungsfreiheit großgeschrieben wird und in dem jeder das Recht hat, für seine Ansichten einzustehen und sie in der Öffentlichkeit kundzutun – sofern dabei die Gesundheit anderer Menschen nicht aufs Spiel gesetzt wird, indem auf das Tragen einer Maske verzichtet wird, die Existenz von Corona gar ganz geleugnet wird oder es zu gewalttätigen Ausschreitungen oder zu einer Behinderung der Arbeit von Journalisten und damit zu einer Einschränkung der Pressefreiheit kommt.

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