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| von Eduardo Alejandro Garcia

Gendern: Aktivismus für eine utopische Welt

Ein Kommentar

Man hört es immer wieder: eine Person gendert, eine andere Person beschwert sich darüber, eine Diskussion entsteht. In Sachtexten, politischen Reden und sogar in Internetmemes sind Gendersternchen und die darauffolgende „innen“-Endung genau so häufig zu finden wie die entsprechende Hasskommentare, die das Gendern als eine sinnlose, künstliche Verwandlung unserer Sprache bezeichnen.

Doch diese Diskussionen sind in Wahrheit eine riesige Zeitverschwendung. Das Konzept von Gendern ist Teil einer größeren Bewegung, nämlich dem Kampf für Gleichheit zwischen Mann und Frau. In unserer modernen, liberalen Welt im 21. Jahrhundert leiden Frauen weltweit noch immer unter Sexismus, aber dessen Ursprung ist natürlich nicht in der deutschen Grammatik zu finden. Es erscheint vielmehr so, dass das Gendern eher eines der letzten zu erreichenden Ziele dieser größeren Bewegung ist.

Der Prozess der Gleichheit zwischen Geschlechtern kann mit der Maslowschen Bedürfnispyramide beschrieben werden. In diesem psychologischen Modell werden menschliche Bedürfnisse auf Stufen in Form einer Pyramide dargestellt und hierarchisiert. Das Ziel einer psychologisch gesunden Person ist möglichst, alle Stufen zu erfüllen. Um zur Spitze, der Selbstverwirklichung, zu kommen, müssen zuerst die anderen Bedürfnisse der unteren Stufen befriedigt werden. Ganz unten, die Basis der Pyramide, findet man die Defizitbedürfnisse, die für das funktionale Leben nötig sind, also die Grundbedürfnisse (z.B. Essen, Schlaf, Sex), dann Sicherheitsbedürfnisse (u.a. Wohnen, Arbeit, Einkommen) und Soziale Bedürfnisse (z.B. Freunde, Partner). Die obere Hälfte der Pyramide besteht aus Wachstumsbedürfnissen: lndividualbedürfnisse (u.a. Anerkennung, Geltung) und Selbstverwirklichung. Doch was hat dies mit Gendern und mit der Gleichheit zwischen Mann und Frau zu tun?

Gendern ist eine Art und Weise die unterschiedlichen Geschlechter in der Sprache zu Kenntnis zu nehmen und passt dementsprechend zu der Anerkennung der Frau (in der Gesellschaft?), ein Individualbedürfnis. Grammatische Anerkennung ist aber, im Vergleich zu der Anerkennung in der Arbeitswelt oder in der Politik – Bereichen die noch von Sexismus geprägt sind – irrelevant im großen Kampf für die Gleichheit. Das Gendern für die Mitarbeiterinnen eines Unternehmens ändert nicht die Tatsache, dass sie bei der Arbeit, laut Statistiken, womöglich weniger respektiert und wahrgenommen werden.

Die Irrelevanz des Genderns wird weiter deutlich, wenn man in Betracht zieht, dass nicht mal alle Defizitbedürfnisse der Frau in der Welt erfüllt werden. In der Arbeitswelt werden Frauen, statistisch gesehen, oft geringer bezahlt als Männer, trotz gleichem Beruf. Außerdem ist es viel schwieriger, als Frau an höhere Positionen in Unternehmen und Firmen zu kommen. Der Ausgleich zwischen Familie und Arbeit wird ebenfalls nicht genug gefördert, was wiederum dazu führt, dass sich beide Seiten nicht vereinbaren lassen, eine Tragödie in einem Land, in dem Ungleichheit und der demographische Wandel große Probleme sind. Somit werden Sicherheitsbedürfnisse teilweise nicht erfüllt. Wenn man die Welt außerhalb von Deutschland betrachtet, wird das Ganze viel schlimmer: eine riesige Anzahl an Opfern von Vergewaltigungen, die Sexualisierung in den Medien und die Unterdrückung von Bürgerrechten der Frau in strengen religiösen und autoritären Staaten sind alle noch zu finden. Sind diese Probleme nicht alle viel wichtiger als die Repräsentation der Frau in der deutschen Grammatik? Neben den ganzen Ungerechtigkeiten, die Frauen täglich erleben müssen, wirkt die Diskussion über das Gendern wie etwas aus einer utopischen Welt.

Erst wenn die Gesellschaft die Grund-, Sicherheit- und Individualbedürfnisse der Frau garantieren kann, darf das Problem des Genderns in den Fokus rücken. Bis dies der Fall ist, sollten alle so schreiben, wie sie wollen, ohne von den Befürwortern oder von den Kritikern als altmodischer Sexist oder radikale Zecke bezeichnet zu werden.

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