Nur zuschauen, nicht helfen?
Der Bystander-Effekt
Jemand wird auf der Straße verprügelt, aber anstatt zu helfen, filmen die Menschen rundherum die Tat oder laufen einfach weiter. Mit solchen Videos sind die Medien heutzutage voll. Doch was hindert uns daran, einzugreifen? Psychologen befassten sich mit diesem Thema und bezeichneten es als Bystander-Effekt.

"Bystander" bedeutet auf Deutsch so viel wie Zuschauer. Der Bystander-Effekt bewirkt, dass sich umso weniger Personen in der Verantwortung fühlen zu helfen, je mehr eine Notsituation beobachten. Das stellten die beiden Sozialforscher Bibb Latané und John Darley 1968 in einer Studie fest. In einem Versuch simulierte ein Mann einen Krampfanfall. Diesen hörte eine aus Studenten bestehende Versuchsgruppe über eine Sprechanlage. Teilnehmer, die glaubten, die einzigen Zeugen zu sein, gaben schnell bis sofort das Signal, einzugreifen. 62% der Teilnehmer, die dachten, es gäbe noch einen anderen Zeugen, griffen erst ein, als die Stimme des Opfers bereits verstummt war. 15% der Person signalisierten gar nicht, einzugreifen. An diesen Versuchsbeobachtungen ist somit zu erkennen, dass das Verantwortungsgefühl der Menschen sinkt, sobald mehrere Menschen eine Notsituation gemeinsam beobachten.
Bibb Latené und John Darley definierten fünf Hürden, die Menschen daran hindern, zu helfen und Zivilcourage zu zeigen. Die erste Hürde ist es hierbei, die Situation, in die es einzugreifen gilt, überhaupt zu bemerken. Daniel sitzt im überfüllten Bus und hört Musik. Ein paar Reihen vor ihm wird ein Mädchen von einer Gruppe Jungs belästigt. Diese Situation muss er zuerst einmal als solche erkennen, um zur zweiten Hürde zu gelangen: Er muss die Situation als Notsituation interpretieren. Jetzt kommt es darauf an, wie zuständig Daniel sich fühlt und darauf, dass er die Verantwortung nicht auf andere Passanten abschiebt, was die dritte Hürde darstellt. Hürde Vier ist es, zu wissen, was notwendig ist, um zu helfen, und Hürde Fünf ist schließlich die Überwindung der Angst, eventuell selbst angegriffen oder belästigt zu werden.
Wie man diese Hürden überwinden und dem Bystander-Effekt entgegenwirken kann, erklärt der Kriminologe Dr. Hans-Dieter Schwindel. Am wichtigsten sei es, sich in einer gefährlichen Situation nicht allein als Held aufspielen zu wollen, und stattdessen Passanten um Mithilfe zu bitten oder im schlimmsten Fall die Polizei zu alarmieren. Nützlich sei zudem das Behandeln des Themas im Schulunterricht oder die Aufklärung durch die Medien.
Der Bystander-Effekt stellt eine wirkliche Gefahr dar und kann vor allem für Opfer von Gewalttaten zum Verhängnis werden. Für jede und jeden von uns ist es also wichtig, dies immer vor Augen zu behalten, um in einer Notsituation den Mut aufbringen zu können, andere Personen um Hilfe zu bitten und schließlich einzugreifen, bevor Schlimmeres passiert.