Sind Wir Gespalten?
Wie sollten die Menschen mit dem Populismus in Deutschland umgehen? Ein kurzer Faktencheck und Kommentar
In den letzten Wochen war es kaum zu überhören: Deutschland steckt in einer Krise - naja, mehreren, um genau zu sein. Die Wahlen in Bayern und Hessen, von denen man sich einen offenen Diskurs über die „Wutthemen“ wünschte, halfen da nicht weiter. Vielmehr fachte diese das ohnehin kaum zu bewältigende Feuer in der Gesellschaft an. Obendrein haben einige Parteien, CDU und AfD sind gemeint, die Spaltung und das Ausspielen der Gesellschaftsschichten wohl zu ihrer Kernkompetenz ernannt. Es ist Zeit, dass Klartext über die von Friedrich Merz verbreiteten Aussagen und Vorurteile geschaffen wird.

I. „Flüchtlinge sind schuld am Geldproblem“
Bei den Aussagen Merz‘ bekommt man das Gefühl, die Flüchtlinge hätten Deutschland in ein tiefes wirtschaftliches Loch gestoßen. Vor wenigen Wochen noch behauptete Merz: »Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine«. Später gab es dann keine richtige Entschuldigung für diese faktisch falsche Aussage, nein, sie wurde als »Schnappatmung« abgetan.
Ob damit die Sache gegessen ist? Naja. Trotz Kritik (sogar aus der eigenen Fraktion, wofür die CDU nicht gemeinhin bekannt ist) geben viele Merz Recht: Es sei ja schon etwas dran, heißt es dann.
Die Argumentation sieht also wie folgt aus:
- Der sehr üppige Sozialstaat in Deutschland wirke als Pull-Faktor und ziehe Migranten an.
- Hier arbeiteten diese Migranten dann nicht, sondern ließen es sich auf Kosten der Arbeiter gutgehen.
- Der Staat könne dadurch keine wichtigen Ausgaben mehr finanzieren.
- Deutschland nehme in seiner Wirtschaftsleistung ab und rase auf einen Kollaps zu.
Unser Sozialstaatsprinzip ist nicht unbegründet im Grundgesetz verankert. Der Sozialstaat schützt auch diejenigen, die nicht arbeiten. Das sorgt dafür, dass man als Arbeitnehmer keine Angst vor einer plötzlichen finanziellen Krise wie zum Beispiel einer Entlassung haben muss - und ferner dafür, dass mehr soziale Gerechtigkeit herrscht. Das heißt, die sozial Schwächeren (und da geht Arbeitslosigkeit und Geldmangel mit einher) werden nicht links liegen gelassen. Sie bekommen vom Staat Unterstützung, um (wieder) Arbeit zu finden oder im Fall von Migranten: Deutsch zu lernen und beispielsweise eine Ausbildung anzufangen. Davon profitiert auch der Staat und dadurch bestenfalls alle. Fachkräfte wurden eben schon immer dringend benötigt. Und? Zieht das besonders viele Migranten an?
Ja und nein. Obgleich in einer Studie, die besonders soziale mit weniger sozialen Staaten hinsichtlich ihrer Migrationsrate untersuchte, ein positiver Effekt festgestellt wurde, so werde dieser (vor allem in politischen Debatten) stark überschätzt. Flucht ist eben mehr als Ökonomie. Außerdem gilt das Push-Pull-Modell schon seit Jahren als überholt, wobei es ja erst einmal nichts Schlechtes ist, dass Menschen sich aufgrund des Sozialstaats in Deutschland niederlassen. Deutschland braucht nicht nur unbedingt Arbeitskräfte aus dem Ausland, sondern auch kulturelle Vielfalt. So sieht das zumindest eine Mehrheit der Deutschen.
Ja, ich weiß, das ist alles (wenn auch wahr) sehr schöngeredet. Fakt ist, Deutschland und die EU haben ein massives Migrationsproblem. Und das schon lange. In Deutschland sind die Ausländerbehörden überlastet und die Lampedusas an den EU-Außengrenzen gibt es nicht erst seit letzter Woche. Das ist aber unter keinen Umständen ein Grund, Fremdenhass zu schüren und so die Gesellschaft gegeneinander auszuspielen.
II. „Arbeit lohnt sich nicht mehr“
Dass sich Arbeit bei der „großen“ Menge an Arbeitslosgengeld nicht mehr lohne, hat bestimmt jeder schon einmal gehört. Doch es gibt genügend Datensätze, die das widerlegen. So ergibt beispielsweise eine Studie des ifo Instituts: „[…] wenn [jemand] am Arbeitsmarkt teilnimmt, [erzielt dieser] grundsätzlich ein höheres Nettoeinkommen, wenn sie am Arbeitsmarkt teilnimmt, als wenn sie arbeitslos ist.“ Dieser Sachverhalt gilt auch nach der Einführung des Bürgergelds, welches das ALG II ersetzt.
Migranten haben übrigens keinen Anspruch auf das Bürgergeld, sondern auf Leistungen entsprechend dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dabei sollen Grundbedürfnisse von Asylbewerbern vor allem durch Sachleistungen gedeckt werden. Zum Beispiel, indem diesen Wertgutscheine für Kleidung bereitgestellt werden. Nach 18 Monaten Aufenthalt in der BRD erhöhen sich zwar die Leistungen, sind aber auch dann nicht auf Bürgergeldniveau.
Schließlich noch ein etwas anderes Argument: Nicht zu arbeiten wäre doch für die meisten Menschen nicht vorstellbar. Wir knüpfen soziale Kontakte, haben einen gleichmäßigen Tagesablauf und im besten Fall mache ich etwas, dass mir mehr oder weniger Spaß und Freude bereitet. Für mich wäre es unvorstellbar, den ganzen Tag auf der faulen Haut zu liegen. Ein, zwei Jahre ginge das vielleicht gut, aber ich bin mir ganz sicher: Jemand, der Arbeitet, hat nicht nur mehr Freiheiten, als jemand, der sich davor aktiv drückt, sondern ist auch ganz klar glücklicher.
III. „Aber wer ist dann schuld?“
Deutschlands Zukunftsfähigkeit ist in Gefahr. So viel steht fest. Und leider haben wir uns das selber beziehungsweise der Politik zuzuschreiben. Deutschland - früher noch „Exportweltmeister“ genannt - hat sich einfach nicht weiterentwickelt. Während sich beispielsweise die USA und China immer attraktiver für Privatunternehmen durch großzügige Investitionen gemacht haben, blieb Deutschland ganz klar in dem ganzen Berg an Bürokratie stecken. Wir haben unsere Industrie ausgelagert und Patente verkauft. Deutschland war beispielsweise Vorreiter im Herstellen von Photovoltaikanlagen, doch das wurde irgendwann zu teuer und man hat die Subventionen schlagartig heruntergefahren.
Dieses Schema finden wir in ganz vielen Branchen in Deutschland wieder. So hat zum Beispiel VW seinen größten Absatzmarkt in China gefunden, was für eine unweigerliche Loslösung von Deutschland steht. Und was tun wir dagegen? Nichts. Irgendwann muss Deutschland sich von der Autoindustrie loslösen oder eben dafür sorgen, dass die Unternehmen hierbleiben.
IV. Hoffnung und Umgang
Wie geht man jetzt aber damit um, wenn man auf populistische Aussagen trifft, die man als solche vielleicht gar nicht sofort erkennt? Es ist zum einen wichtig, dass man nicht einfach die Meinung übernimmt, ohne diese kritisch zu hinterfragen. Auch beim Rumscrollen auf TikTok oder Instagram sollte man sich also die Zeit nehmen, die Videos zu verarbeiten, den Gedankengang nachzuvollziehen und sich schließlich eine eigene Meinung zu bilden.
Medien, die einer kurzer Aufmerksamkeitsspanne bedürfen, sind besonders gefährlich, da wir uns an das Vorsagen von Meinungen gewöhnen. Nicht umsonst ist die AfD die erfolgreichste Partei auf TikTok.
So gespalten, wie oft getan wird, sind wir aber noch lange nicht. Zwar gibt es einige Streitpunkte, die für hitzige Debatten sorgen, doch oft sind die Deutschen sich mehrheitlich einer Meinung. Man darf nicht vom Populismus in der politischen Landschaft zu emotional getriebenen Entscheidungen verführen lassen. Vielleicht tut es deswegen auch gut, Abstand aufzubauen. So wird man nicht unter dem Haufen an Aussagen, Meinungen - ob populistisch oder nicht - vergraben.
Quellen
Blömer, M. Peichl, A. (2020). Für wen lohnt sich Arbeit? https://www.ifo.de/node/46110
Seils, E. Emmler, H. (2022). Der untere Entgeltbereich. https://www.wsi.de/de/faust-detail.htm?produkt=HBS-008216
Bau, M. (2023) Nein, Asylbewerber bekommen kein Bürgergeld. https://correctiv.org/faktencheck/2023/02/15/nein-asylbewerber-bekommen-kein-buergergeld/
Scholz, A. Agarwala, A. (2023). Einiger als gedacht. In: DIE ZEIT, 2023/41
Volkswagen AG (2023). Geschäftsbericht 2022. https://geschaeftsbericht2022.volkswagenag.com/konzernlagebericht/geschaeftsverlauf/entwicklung-der-maerkte.html