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| von Jack Maul

Transident in Deutschland

Ein Erfahrungsbericht

Noch immer wird "Transidentität" als gesellschaftliches Randthema wahrgenommen. Dabei sind davon allein in Deutschland schätzungsweise über 400.000 Menschen betroffen. Wer sind "transidente" Menschen? Wie ist ihre aktuelle rechtliche Situation in unserem Land und warum wollen sie nicht als "transsexuell" bezeichnet werden?

Manchmal gibt es Themen, die eigentlich viele Menschen betreffen, über die aber nicht viel geredet wird. Meistens hört man dann Sachen wie „aber es sind doch nur 0,5% der Bevölkerung“. Wenn man das Ganze dann aber umrechnet, ist man bei ungefähr 415.000 Menschen in Deutschland. Das klingt dann nicht mehr so wenig.

 

Wer sind „transidente Menschen“?

So ist die Situation auch bei Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, welches ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. So mag sich ein Mensch, der als Mädchen geboren worden ist, eigentlich als Junge fühlen oder eben andersherum. Vielleicht kennt ihr selbst einen transidenten Menschen, auch ohne es zu wissen. In meinem Fall zumindest war es so. Ich dachte, ich würde keinen transidenten Menschen kennen, bis ich herausfand, dass ich mich selbst dazu zähle.

In der Gesellschaft gibt es viele Vorurteile über uns. Wir wären nur „Männer in Frauenkleidern“ oder „Mädchen mit kurzen Haaren und Jogginghosen“, wären „krank“ oder „geistig nicht ganz da“. Natürlich ist die Erfahrung eines jeden transidenten Menschen unterschiedlich. Während einige vielleicht in einer Umgebung aufwachsen, in der sie unterstützt werden, schämen sich andere für ihre eigene Identität. Das Coming-Out ist hart und oft mit Mobbing verbunden. Einige werden sogar von ihren Eltern verlassen und rausgeworfen. Die Rate von Gewalt und Mord, besonders an Transfrauen, ist deutlich höher als bei anderen Bevölkerungsgruppen.

 

Die aktuelle rechtliche Situation transidenter Menschen

Aber als wären all diese Hindernisse nicht genug, als wäre die Scham und der Hass von so vielen Leuten nicht schon ausreichend, machen die Gesetze in Deutschland unsere Situation nicht gerade leichter.

Das deutsche „Transsexuellengesetz“ ist bereits seit 40 Jahren in Kraft und damit eines der ältesten in ganz Europa. Es beschreibt im Grunde, welche Bedingungen man für eine offizielle Änderung seines Namens erfüllen muss und wie genau diese abläuft.

Ich persönlich finde bereits den Namen dieses Gesetzes eher fragwürdig. „Transsexuell“? Was hat denn meine Identität mit Sexualität zu tun? Definitiv nicht viel, soviel ist sicher.

Davon abgesehen, war es es für mich sehr anstrengend und vor allem teuer, dieses Verfahren zu durchlaufen. Ich musste an das Amtsgericht Kassel gehen, da es eins der drei Amtsgerichte in Hessen ist, die sich um die Änderung des Namens und des Geschlechtseintrages kümmern. Man muss dem Richter im Grunde die gesamte eigene Lebensgeschichte erzählen, um zu beweisen, dass man sich tatsächlich als das Geschlecht fühlt, als das man sich identifiziert. Dabei kam ich mich mir ein bisschen wie ein Krimineller vor. Was sollte ich denn auch auf einem Gericht, um nur über mein Leben zu reden? Ich habe weder etwas gestohlen, noch mich scheiden lassen, geschweige denn, jemanden ermordet.

Doch das ist noch lang nicht alles. Nachdem man am Gericht vorstellig geworden ist, muss man sich zu zwei Personen begeben, die einen in einen professionellen Brief begutachten. In erster Linie denkt man vielleicht an Personen, die einem nahe stehen – die Mutter, der Vater, die Geschwister, der beste Freund oder die beste Freundin. Aber nein. Das Gericht weist einem beide Gutachter zu, welche entweder Therapeuten, Psychologen, Psychiater oder Ärzte sind. Und das, obwohl Transidentität schon lang nicht mehr als eine Krankheit gilt. Mit diesen Personen durchläuft man dann ein weiteres Mal denselben Prozess. Man erzählt seine Lebensgeschichte und beantwortet Fragen, die eigentlich keinen etwas angehen. Ich möchte an dieser Stelle nicht auf diese Fragen eingehen, wenn ich ehrlich bin. Einige waren einfach nur peinlich und unangebracht.

Da die Gutachten dann an das Gericht geschickt werden, fallen sie nicht einmal unter die Schweigepflicht. Wenn der Richter sich dann sicher ist, dass man sich auch wirklich als das andere Geschlecht fühlt, bekommt man die Namensänderung bestätigt. Dauernd kommen dann Briefe vom Amtsgericht und man kommt sich noch mehr vor, als hätte man Raubmord begangen. Bei einem Preis von bis zu 3000 Euro für eine kleine Änderung des Geschlechtseintrages und des Namens, die man heutzutage wohl mit ein paar Mausklicks abgearbeitet hat, erscheint dieser Gedanke auch gar nicht mehr so absurd.

 

Vom „Transsexuellengesetz“ zum „Selbstbestimmungsgesetz“

Allerdings könnte sich diese kaum ertragbare Situation für uns bald ändern.

Am 11. Juni dieses Jahres legten die FDP und Die Grünen einen Gesetzesvorschlag vor. Sie schlugen vor, das alte „Transsexuellengesetz“ abzuschaffen. An dessen Stelle soll dann ein „Selbstbestimmungsgesetz“ treten, welches meiner Meinung nach in sehr vielen Punkten besser ist. Es fängt schon beim Namen an. Der Begriff „Sexualität“ hätte nichts mehr mit der Transidentität zu tun, auch nicht auf dem Papier. Anstelle der erniedrigenden Sitzungen auf dem Gericht und bei den Therapeuten, würde ein Schreiben an das Standesamt genügen. Damit beliefe sich der Preis dann auch nur noch auf die Änderung der Dokumente, wie den Personalausweis oder den Führerschein, insgesamt also nicht mehr auf mindestens 1000 Euro.

Sogar für die geschlechtsangleichenden Operationen ist ein Punkt vorgesehen. Nach einer ganz normalen ärztlichen Beratung sollen Operationen durchgeführt werden können und die Krankenkasse soll diese dann auch bezahlen. Im Moment muss man sich für die Operationen ein weiteres Gutachten besorgen. Als ob die zwei Gutachten der Namensänderung und die anderen zwei für die Hormonbehandlung nicht schon genug wären. Diese Regelung wäre auch für nicht-binäre Menschen hilfreich. Dies sind Menschen, die sich weder als Frau, noch als Mann fühlen. Manche von ihnen wollen eine Hormonbehandlung, andere nur Operationen. In Deutschland ist es bisher nur möglich, operiert zu werden, nachdem man eine gewisse Zeit lang Hormone genommen hat.

Dieser neue Gesetzesvorschlag wäre eine wahre Wohltat für die deutsche Community. Die Erniedrigung durch den Staat wäre beinahe komplett abgeschafft, man müsste sehr viel weniger Geld und Zeit investieren. Besonders minderjährigen transidenten Menschen wäre viel damit geholfen, da sie schließlich selbst noch kein Geld verdienen.

 

„Wir wollen wir sein können.“

Ich denke, dass die Aufmerksamkeit, die ein solches Gesetz in den Medien bekommen würde, auch zur gesamten gesellschaftlichen Akzeptanz beitragen könnte. Wenn uns das Leben ein wenig leichter gemacht würde und gleichzeitig Menschen über uns informiert würden, wäre das sicherlich etwas Gutes. Wir wollen keine bessere rechtliche und gesellschaftliche Stellung als andere haben, sondern einfach nur genau dieselbe. Wir wollen wir sein können, ohne Jahre dafür kämpfen zu müssen. Es wäre schön, wenn wir die Rechte bekommen würden, die auch jeder andere Bürger hat. Schließlich sind wir in etwa 415.000 Bürger*innen dieses Landes – nicht geoutete Transmänner und Transfrauen kommen auch noch dazu.

Leider ist das Ganze aber noch nicht beschlossen. Bis jetzt gab es nur eine Lesung, in der die geäußerten Meinungen aber immerhin eher positiv waren. Bis auf zwei CDU-Politiker und eine AfD-Politikerin waren die Stimmen sich relativ einig, dass etwas geändert werden müsse. Ob es nun der Vorschlag der Grünen und der FDP sei, wie er im Moment ist, oder ob man zumindest nur noch ein psychologisches Gutachten voraussetzt, wurde auch noch nicht geklärt.

Am zweiten November soll eine öffentliche Anhörung zum Gesetz stattfinden. Ich, sowie wohl auch der Rest der Community, hoffen auf die langersehnte Veränderung. Das alte Gesetz wurde schon vor Jahren vom Bundesverfassungsgericht für menschenunwürdig erklärt – langsam muss etwas passieren.

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