Balladenabend in der FvSS
„Wild zuckt der Blitz“, hieß es am Morgen, und „Der Sturm ist da“ am Abend“. Doch ging es an der Freiherr-vom-Stein-Schule nicht um Wetterberichte oder die Ankündigung von Katastrophen, sondern mit dem Rezitator und Publizisten Gerd Berghofer um Literaturunterricht der anderen Art.
Hatte am Morgen der mit begeisterndem Vortrag aufwartende Sprechkünstler den 170 Schülern des Jahrgangs in zwei Durchgängen „schaurig-schöne Balladen“ geboten, so widmete er sich in einer sehr gut besuchten Veranstaltung am Abend der Epoche des literarischen Expressionismus. Unterrichtsstoff mit Abiturrelevanz, „vom Klassenzimmer ins Atrium geholt“, wie Reinhard Schwab, Fachsprecher Deutsch, das in seinen Dankesworten treffend beschrieb.
Die Kernzeit des Expressionismus liege im Zeitraum von 1910 bis 1922, erklärte der Referent zu Beginn seiner zumeist frei vorgetragenen Ausführungen, die zuhörerfreundlich abwechselten zwischen der Darstellung von Zeitbezügen und Hintergründen und der mitreißenden Rezitation von Texten. Ganz unterschiedliche Schwerpunkte hätten die zu der Zeit entstandenen Werke, die man nicht in eine Schublade stecken könnte, sondern im mehrere. Das war dann auch das strukturierende Prinzip für den Abend. So ging es etwa um das allgemeine Aufbegehren, besonders deutlich am Beispiel des Vater-Sohn-Konflikts, „das Freisein und das Brechen mit dem, wofür der Vater steht“.
Weitere Schwerpunkte sind laut Berghofer eine „Ästhetik des Hässlichen“, das Leben in den sich rasch vergrößernden Städten, „in denen sich der Mensch verliert“ und der Krieg (hier der 1. Weltkrieg, „herbeigesehnt als reinigendes Gewitter“. Der Referent öffnete noch mehr Schubladen, alles unter Einmischung von Anekdoten, mit sicherer Pointensetzung und belegt mit signifikanten Beispielen und auch heute noch geläufigen Namen. Wie etwa Georg Heym, Gerrit Engelke, Ernst Toller, Gottfried Benn und Else Lasker-Schüler.
Dass viele Werke des Expressionismus bis heute brandaktuell sind, wird den Zuhörern klar geworden sein, als sie ein achtzeiligen Gedicht von Jacob van Hoddis aus dem Jahre 1911 mit dem Titel „Weltende“ hörten, in dem formuliert ist, was sich in unserer Gegenwart (fast) täglich ereignet: „Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen an Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.“ Es gab viel Beifall für diese so ganz andere Deutschstunde.
Von Wolfgang Hohmann, veröffentlicht in der Fuldaer Zeitung am 21.01.2013.