„Hilfe zum Sterben“ ˗ ethisch-theologischer Fachvortrag von Prof. Dr. Ulrich Eibach
Die Thematik „Sterbehilfe“ ist sehr aktuell, denn sie wurde in Deutschland neu geregelt. Der Bundestag entschied sich am 6. November 2015 für die Annahme eines fraktionsübergreifend initiierten Gesetzentwurfs. Am 26. Januar stellte Prof. Dr. Ulrich Eibach vor der Oberstufe des Freiherr-vom-Stein Gymnasiums daher das Thema in den europäischen Kontext und beurteilte es kritisch aus theologisch-ethischer Sicht.

Professor Dr. Ulrich Eibach ist außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Dr. Mergler erklärte in seiner Anmoderation, dass Eibach bis Ende 2007 Klinikpfarrer am Universitätsklinikum Bonn sowie Beauftragter der Evangelischen Kirche im Rheinland für Fortbildung und Fragen der Ethik in Biologie und Medizin gewesen sei. Seit 2008 sei er Pfarrer im Ruhestand und Pfarrer im Ehrenamt am Universitätsklinikum Bonn. Wie fast kein anderer Theologe verfüge Eibach also einerseits über praktische Seelsorgeerfahrung an sterbenden Menschen und deren Angehörigen und andererseits über die theologische Reflexion der Praxis.
In Eibachs anschließendem Vortrag flossen folglich immer wieder beide Perspektiven mit ein, wobei er von der empirischen Seite her eine Fülle von Beispielen ausweisen konnte und diese zum Anlass nahm, seine darauf aufbauenden Thesen zu erarbeiten und weiterführend zu untermauern. Nach einer Skizze über die aktuelle Entwicklung in Deutschland, stellte Eibach diese in den europäischen Kontext, wobei er neben einem Überblick der rechtlichen Situation in England und der Schweiz insbesondere einen Schwerpunkt auf die Lage innerhalb der Beneluxländer legte. Nach einem kurzen Exkurs zu den Regelungen in den USA legte Eibach seine eigene theologische Auffassung bezüglich des Themas in sechs zusammenfassenden Thesen nachvollziehbar dar. Dabei wurden unter anderem folgende Schwerpunkte deutlich:
Eibach geht davon aus, dass die empirische Autonomie (Selbstbestimmung) nicht der primäre Inhalt der Menschenwürde sei, da sonst ein Leben ohne Autonomie „Würde-los“ wäre. Zudem wies er grundlegend darauf hin, dass die Menschenwürde nach christlicher Sicht überhaupt keine immanente empirische Qualität sei, sondern ein „transzendentes“, von Gott dem ganzen Leben von seinem Beginn bis zu seinem Tod zugesprochenes und daher unverfügbares Prädikat. Dieses könne auch durch Krankheit und Behinderung nicht in Verlust geraten. Das Leben des Menschen werde folglich auch dann nicht „menschenunwürdig“, wenn der Mensch durch Krankheit seiner empirischen Autonomie beraubt werde und in jeder Hinsicht auf die Hilfe anderer angewiesen sei. Deshalb könne es kein „menschenunwürdiges“ Leben geben, sondern nur Lebensumstände, die der Würde des Menschen widersprechen, und menschenunwürdige Behandlungen von Menschen durch Menschen.
Gemäß Eibach sind Selbsttötung und Tötung auf Verlangen keine sich aus der Menschenwürde ergebende Menschenrechte, weil der primäre Inhalt der Menschenwürde eben nicht in einer empirischen Entscheidungs- und Handlungsautonomie besteht, die ein uneingeschränktes Verfügungsrecht über das eigene Leben einschließt. Leiden an abnehmenden Lebenskräften im Alter, an Krankheiten und im Sterben gehörten zum „Geschöpfsein“ des Menschen. Leiden seien zwar zu lindern, soweit es in menschlichen Möglichkeiten stehe, jedoch könne es kein Recht auf ein leidfreies Leben und Sterben geben. Wenn der Fähigkeit, das Leben zu genießen und Glück zu erleben, nicht mehr die Fähigkeit zum Leiden entspricht, so Eibach, wird das menschliche Leben nicht menschlicher, sondern unfähiger, die ganze Wirklichkeit des Lebens mit seinen Höhen und Tiefen zu bestehen. Im Leiden in der Zeit der Krankheit und des Sterbens werde der Mensch vor die Frage nach dem Sinn und Ziel seines Lebens gestellt und herausgefordert, sich und sein Leben loszulassen in die „Hand Gottes“, im Vertrauen darauf, dass das Leben bei Gott seine Vollendung erfahre.
Im Anschluss an den Vortrag gab es noch die Möglichkeit zu Rückfragen unter der Moderationsleitung von StD Thomas Manderscheid, die sowohl von den Schülerinnen und Schülern als auch von Lehrkräften genutzt wurde. Am Ende der etwa 90 minütigen Vortags- und Diskussionszeit bedankte sich Christoph Hartmann im Namen der Europaschule bei dem Referenten mit einem kleinen Erinnerungsgeschenk.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die neue Gesetzeslage in Deutschland in der Praxis bewährt und welche gesellschaftlichen Folgen sich daraus ergeben. Sicherlich kann diese Thematik aber als Grundlage für die ein oder andere kontoverse Diskussion innerhalb der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer dienen.