Vortrag über Magersucht und Bulimie
FULDA „Meine Jugend habe ich verschwendet“ – schonungslos zieht eine 29 Jahre alte Frau Bilanz, die an Magersucht leidet.
Sie berichtete in einer achten Klasse des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums Fulda über ihre Krankheit, ihre Therapie und ihre Wünsche für die Zukunft.
Nina (Name von der Redaktion geändert) ist eine junge Frau mit Gardemaß. Sie ist über 1,80 Meter – und mehr als schlank: Man sieht Nina an, dass sie noch längst nicht ihr Normalgewicht erreicht hat. „Zeitweise habe ich sogar unter 40 Kilo gewogen“, gibt sie preis – und die Schülerinnen und Schüler zwischen 13 und 15 Jahren reagieren erschrocken, denken vielleicht in diesem Moment daran, dass sie selbst locker um die 50 Kilo wiegen.
Die Hälfte ihres bisherigen Lebens hat Nina abwechselnd gehungert, dann wieder Unmengen verschlungen und sich anschließend erbrochen. „Als es anfing, etwa mit 16 Jahren, da habe ich morgens einen Apfel gegessen, mittags eine Banane und abends einen Joghurt“, sagt sie. Und nach acht Stunden Job hat sie dann noch täglich eine Stunde Sport getrieben und 600 Kalorien verbrannt. „Ich hab’ mich damals gut gefühlt, wenngleich auch immer noch zu dick“, gesteht sie – aber das „gute Gefühl“ hielt nicht lange an. Nina war oft im Krankenhaus, mehrere Monate in Reha, zwischendurch immer wieder in der geschlossenen Psychiatrie, wo sie unter permanenter Kontrolle stand. „Ich bin dankbar für jeden Aufenthalt, denn sonst wäre ich wohl längst tot“, sagt sie im Rückblick.
Gestorben ist auch das Mädchen in dem Buch „Engel haben keinen Hunger“, mit dem sich die Klasse im Deutschunterricht über das Thema Essstörungen informiert hatte – ein Buch, das Nina ebenfalls gelesen hat und das erste, „von dem ich wirklich erschüttert war“, wie sie bekennt.
Erfolgreich an der Hochschule
Nina berichtet von ihren Therapien, von Rückschlägen und von Erfolgen: Sie hat mittlerweile ein Sozialpädagogik-Studium erfolgreich abgeschlossen. Und sie wünscht sich, nun auch eine Stelle zu finden. Sie lebt mit der Zuversicht, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hat: „Die Magersucht hat sich immer mehr zu meinem Feind entwickelt. Zwar sind 100 Gramm auf der Waage immer noch eine Katastrophe für mich. Aber ich weiß heute, dass es ein Weg ins Leben ist“, sagt sie und ergänzt: „Meine Essstörung ist nicht weg, aber ich versuche damit zu leben. Ich bin auf einem guten Weg und möchte zunehmen, auch wenn es sehr schwer ist.“ Unterstützt wird sie dabei von ihrem Partner, mit dem sie seit 2009 zusammen ist. Mit ihm schafft sie es, gemeinsam zu kochen und sogar essen zu gehen. Ihm verdankt Nina die Motivation, dass sie den Kampf gegen die Erkrankung noch einmal aufgenommen hat: „Ich bin sehr dankbar, dass er mir Kraft gibt und zu mir hält.“
Die Jugendlichen wollen viel wissen über Nina, und sie antwortet mit großer Offenheit auf die Fragen: Sie schildert, dass sie nie Model werden wollte, sondern sich krank hungerte, weil sie Angst davor hatte, erwachsen zu werden. Nina bekennt, dass sie ihr Leben als Jugendliche über Kloschüsseln verbracht hat statt mit Freunden in der Disko. Dass sie kaum Freunde hatte, sozial isoliert war, weil „niemand auf Dauer mitansehen kann, wenn sich eine Freundin zu Tode hungert“. Für ihre Zukunft wünscht sie sich Normalität: „Eine eigene Familie, einen Beruf und ein Gewicht, das gesund ist – aber da fehlen noch ein paar Kilo.“ Leben muss sie mit den Folgen der jahrelangen Essstörung, mit Herz-Kreislauf-Problemen, Muskelschwäche, Schwindel, chronischen Verdauungsstörungen und Problemen mit Zähnen, Haut und Haaren.
„Hilft es Ihnen eigentlich, wenn Sie Ihre Geschichte vor einer Klasse erzählen?“, fragt jemand. Ninas Antwort: „Mir hilft es, indem ich euch helfe. Ich möchte als abschreckendes Beispiel auf euch wirken. Das ist wirklich kein schönes Leben.“
Von unserem Redaktionsmitglied
Leoni Rehnert
weitere Informationen zum Thema: