| von Clemens Hacker
Vortrag von Dr. Thomas Sitte über Palliativ-Medizin und Sterbehilfe in Deutschland
Am 15.01.2025 erhielten mehrere Religions- und Ethik-Kurse der 12. und 13. Klasse der Freiherr-vom-Stein-Schule in Fulda die seltene Möglichkeit, praxisnahe Einblicke in die Arbeit der Palliativ-Medizin und Sterbebegleitung zu erhalten. Dr. Thomas Sitte, deutschlandweit führender Experte auf diesen Gebieten, hielt dazu einen Vortrag und kam mit den Lernenden ins Gespräch.

Die Praxis: Sterbehilfe und Palliativ-Medizin
Zu Beginn veranschaulichte Dr. Sitte, dass vielen nicht bewusst sei, worin die Arbeit von Medizinern und Ehrenamtlichen in diesen Bereichen besteht: Dazu ging er auf die heutige Rechtslage sowie Möglichkeiten, wie Sterbehilfe in Deutschland und der EU ausgestaltet sei, ein. Ebenso veranschaulichte er die Herkunft der Palliativ-Medizin. Hergeleitet vom Lateinischen „pallium“ für Mantel sei es ursprünglich darum gegangen, das Sterben von Menschen vor der Öffentlichkeit zu verdecken. Heute hingegen sei das Ziel, Personen, die sicher bald sterben werden, medizinisch zu helfen. Wichtig dabei sei, dass der (Selbst-)Tod nicht das primäre Ziel seines Bestrebens sei. Im besten Fall werde das Leiden von Menschen gelindert, um ihnen auf diese Weise ein würdevolles Leben zu erhalten.
Dr. Sitte berichtete von mehreren Fällen, z.B. von einem 75-jährigen Soldaten, der aufgrund von Knochenkrebs unfassbare Schmerzen erleiden musste. Ihm konnte mithilfe der richtigen Medikation schnell geholfen und sein Leiden gemindert werden. Die Reaktion des Patienten: Unverständnis darüber, warum ihm nicht bereits vorher geholfen werden konnte.
Palliativ-Medizin: Lange nicht beachtet, bis heute nicht ausreichend gefördert
Warum derart oft Patienten nicht die richtige Behandlung erhalten, konnten weder Dr. Sitte noch das Publikum nachvollziehen. Dennoch seien Ursachen dafür festzustellen. Die Palliativ-Medizin habe sich erst seit den 1990er Jahren entwickelt und sei dementsprechend eine noch recht junge Disziplin. Ebenso hätten Pharma-Unternehmen wenig Interesse daran, neue Medikamente dafür zu entwickeln, weil für diese vor allem wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stünden. Dass eine Veränderung dieser Zustände notwendig ist, wurde allerdings durch den Vortrag und Fragen der Teilnehmenden deutlich.
Nicht nur die Lernenden, sondern auch die anwesenden Lehrkräfte wollten mehr über die ethische Dimension der Tätigkeit von ihm und der Deutschen Palliativ Stiftung wissen. So ging es bspw. darum, wie man es als Arzt erlebe, wenn man sterbenskranken Menschen helfen kann – oder ihnen eben auch nicht mehr zu helfen ist. Ebenso stand die Frage im Raum, wie zwischen Menschen, die bspw. aufgrund einer akuten Depression einen Suizid planen, und solchen, die aufgrund ihres anstehenden Todes diesen verlangen, unterschieden werde. Als Arzt bestehe hier nie eine hundertprozentige Sicherheit: Notwendig für die Palliativ-Mediziner seien zwei Dinge: Sensibilität für die Probleme der Patienten, um ihnen die Hilfe anzubieten, die sie benötigen, sowie keine Angst davor zu haben, unangenehme Entscheidungen zu treffen. Gemeinsam sei beiden, dass das Wohl des Patienten und vor allem sein Recht auf Selbstbestimmung immer im Mittelpunkt stehen müssen.
Dem Leben mehr Tage und den Tagen mehr Leben geben
Dr. Sitte sensibilisierte so nicht nur für die komplizierte ethische und medizinische Praxis der Palliativmedizin. Er machte die Lernenden auch darauf aufmerksam, sich der eigenen Sterblichkeit bewusst zu werden und bereits heute erwachsene Entscheidung zu treffen, z.B. durch Ausfüllen einer Patientenverfügung. Abschließend warb Dr. Sitte noch dafür, sich in seiner Freizeit für andere ehrenamtlich in Vereinen und Stiftungen einzusetzen und so dem eigenen Leben einen höheren Sinn zu geben, indem man denen hilft, die sich einsam fühlen und auf die Unterstützung und Nähe anderer angewiesen sind.
Die Freiherr-vom-Stein-Schule dankt Herrn Dr. Sitte für seine Bereitschaft, dieses auf den ersten Blick unangenehme, aber doch so wichtige Thema den Schülerinnen und Schülern nahegebracht zu haben. Der persönliche Kontakt sowie die Einblicke in die echte Praxis eines medizinethischen Komplexes ermöglichten es so, über den schulischen Tellerrand hinweg in das echte Leben und wirkliche Konflikte zu blicken, die einen verantwortungsvollen Umgang verlangen: gegenüber sich selbst sowie allen anderen Mitmenschen.
Ein wichtiger Hinweis an dich, falls du selbst suizidale Gedanken hast oder jemanden kennst, der sich in einer solchen Situation befindet: Vielen anderen Menschen geht es ähnlich. Du bist mit deinen Problemen nicht allein! Wende dich an Personen, denen du vertraust oder nimm professionelle seelsorgerische Hilfe in Anspruch. Diese erhältst du z.B.
- bei der „Telefonseelsorge“:
- online: https://www.telefonseelsorge.de,
- Tel.: 0800 1110111 oder 0800 1110222
- oder bei der „Nummer gegen Kummer“:
- online: https://www.nummergegenkummer.de,
- Tel.: 116 111